Selbergross

auch Im Zeitalter des Expertentums

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Lehrerinnen sind selbergross

Zur Meinungsbildung brauchts einen offenen Diskurs – auch in der Bildungspolitik. Dazu müssen unterschiedliche Ansichten auf den Schulalltag und verschiedene Meinungen darüber, was pädagogisch sinnvoll ist unvoreingenommen beschrieben und debattiert werden können. Verschiedene Erfahrungen, Auffassungen und Haltungen engagiert praktizierender Berufspersonen sind eine grosse Chance und würden thematisiert zu einer aufschlussreichen Gegenüberstellung verschiedener Erlebniswerte führen. Direkt aus der Praxis.

Persönlichkeiten, die ihre Erfahrung und Haltung auch gegen geläufige Denk- und Handlungsmuster kund tun sind hilfreich. Gefördert werden müsste nicht eine lineare, sondern eine breite Zusammenarbeit. Auch als Vorbild für die SchülerInnen unserer aller Volksschule. –  Mittlerweile werden verschiedene Ansichten betreffend der Volksschule unüberhörbar und offensichtlich in den Medien des ganzen Landes aufgegriffen und beschrieben.

Wahlempfehlungen für LehrerInnen haben nichts damit zu tun. Ganz im Gegenteil: LehrerInnen sind politisch mündig, gerade durch ihren professionellen Zugang zum LehrerInnenberuf, eigenständig, mit ihrer Erfahrung, ihrer Perspektive und Ansicht,  ihre Stimme abzugeben. Meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit, die mit Wertschätzung zu tun hat.

Mitmenschlichkeit vs. Solidarität

Politisch verordnete Solidarität über die Grundbedürfnisse, den Schutz und die Würde der Einzelnen hinweg ist ungut. Dass dies viele PolitikerInnen noch immer nicht wahrhaben wollen, ist nicht nur schade, sondern auch schädlich. Denn verordnete Solidarität entsteht nicht aus einer inneren Haltung und Überzeugung der Einzelnen. Sie fliesst nicht von Mensch zu Mensch, sondern ist politisch vorgeschrieben und verpflichtend. Deshalb muss sie durchgesetzt und verwaltet werden. Daran wachsen Verwaltung und Administration – nicht aber die Menschen, weder diejenigen, welche gezwungen sind zu geben, noch diejenigen, welche empfangen.

Denn Mitmenschlichkeit kann nicht erzwungen werden. Aber eine Gesellschaft kann so ausgestaltet werden, dass der Einzelne aus eigenem Willen durch Mitgefühl, eigenständig und in Freiheit solidarisch handeln kann. Daraus entstünde eine echte Gemeinschaft von Innen, lebendig, prozesshaft – ein Ideal, dem sich Menschen, die in einer liberalen Gesellschaft leben möchten, immer wieder neu anzunähern versuchen müssen. Das heisst für die Politik: Weniger statischer, lebloser Gesetzesparagraph und mehr Mut zu Prozesshaftigkeit und Freiheit. Weg vom Zwang und hin zur Möglichkeit. Nur daraus entsteht solidarisches Handeln aus freien Stücken. Es ist nämlich ein für eine Gemeinschaft ausschlaggebender und grundsätzlicher Unterschied, ob sich die Menschen eigenständig und in Freiheit zu  achtsamem Handeln für Mensch, Tier und Umwelt entscheiden oder ob ihnen dieses per Solidaritätsfoderungen aufgezwungen wird. Ersteres ist durch eine innere Haltung der Handelnden authentisch und nachhaltig.

Palmsonntag 2023

Palmsonntag hochaktuell: Zwischen himmelhochjauchzender Verehrung und „ans Kreuz mit ihm“ vergeht gerade mal eine Woche. – Kein Nachplappern, keine Opportunismus, sondern zur eigenen Haltung und Meinung stehen und diese kund tun, weil er sich als Mensch in seine Mitlebewesen einfühlen kann. Nicht aufgrund verordneter Solidarität, (man kann auch mit Häschern solidarisch sein), sondern wegen seiner Fähigkeit des eigenen Nachempfindens kann er es wagen, kritisch zu sein – selbst, gegenüber den Meinungsführern und sogenannten Experten. Diese unerschütterliche Haltung. Bei ihm bis über den grausamsten Tod hinaus: Dieser unglaubliche Mut, für das als gut Erlebte und Empfundene einzustehen, welche Kraft, welche Grösse, es ist Wahnsinn, berührend und himmelhoch aktuell! Für mich das grösste Fest und Mahnmal, immer und immer wieder achtsam zu sein, dass ich niemanden symbolisch ans Kreuz schlage. Und auch, dort aufbegehren, wo dies getan wird, oder die Gefahr dazu besteht. Immer und immer und immer wieder fragen: Lasse ich andere Meinungen und Haltungen zu? Aber respektiere ich sie als Einladung oder Verpflichtung zum Argument oder zum Gegenargument, oder grenze ich Menschen anderer Gesinnung und Haltung aus? Wenn ich selber frei leben darf, gestehe ich diese Freiheit auch meinen Mitmenschen zu?

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Wider die Bevormundung der Bürger durch Experten und Behörden – Ein Plädoyer zur freien Meinungsäusserung im Zeitalter des Expertentum.

Von Lukas Rüefli

 

Das Expertentum wird gesellschaftspolitisch zum Problem. Experten sind ausschliesslich auf ihr Wissenschaftsgebiet, auf ihren Zirkel, den sogenannten Expertenzirkel fokussiert und angewiesen. Verbindungen zur  Alltagswelt, Bezüge zur Lebenswelt der Menschen werden vernachlässigt weil sie das Behaften am Expertenzirkel verunmöglichen. Momentan erleben wir die politischen Folgen davon.

Wohl noch nie waren die Kommunikationstechniken so umfangreich und die Meinungsäusserungsfreiheit so eingeschränkt. Das Problem besteht in der Bevormundung und Einschüchterung  durch Experten und Behörden. Viele Themen, Probleme und Handlungsfelder werden an Institutionen weitergegeben und von  Experten beziehungsweise Behörden aufgenommen. Oft wird die Expertenmeinung als diejenige der richtigen Ansicht kommuniziert. Dies mit dem Ziel, Experten- und Behördenmeinungen von der veröffentlichten zur öffentlichen Meinung zu machen. (Das fängt mittlerweilen bei den Kinderkrippen an und hört bei der Altenbetreuung auf). Die Weitsicht und Distanz der Laien wird vernachlässigt. Für Menschen, die weiterhin in einer funktionierenden und direkten Demokratie zusammenleben möchten, hat dies ungute  Auswirkungen: Zusammenhänge, die ersichtlich werden, wenn man Themen und Aufgaben mit der Distanz des Laien, dem sogenannt gesunden Menschenverstand angeht, werden nicht erkannt, nicht in den Diskurs einbezogen und bei Entscheidungen nicht beachtet. Das ist schade, denn mittler weilen fehlts Klimaexperten an Horizont, Bildungsexperten am Bezug zum Kind, Kriegsstrategen an Realitätsbezug. Allein im Expertenzirkel wird die Sinnfrage nicht nur nicht beantwortet, sondern gar nicht gestellt, zielgerichtetes Handeln weicht orientierungslosem Hantieren. Ich behaupte: Währenddem die Fachperson bestrebt ist,  durch ihre Fachkompetenz ihre Umgebung, ihre Umwelt zu bereichern, ist die Expertin ausschliesslich auf ihr Expertengebiet fokussiert und bewegt sich systematisch in ihrem Zirkel, im sogenannten Expertenzirkel. Das heisst, die Umgebung, die Umwelt hat sich dem Expertentum anzupassen. (Beispielsweise hat die Gesellschaft, die Allgemeinheit Kinderkrippen zu bezahlen, weil dies – entsprechend der Expertenmeinung – die richtige Lösung ist). –  Selbstredend lassen sich Systeme ebenso wenig vermenschlichen, wie sich Menschen versystematisieren, verdinglichen lassen – und jeder Versuch, dies zu tun, endet in der Unmenschlichkeit. Oder anders beschrieben. Kein System, kein (dafür zuständiger) Expertenzirkel kann so umfangreich, so allumfassend ausgestaltet werden, dass er der unermesslichen Vielfältigkeit der Menschen, des Lebens gerecht werden kann.

 

Deshalb, liebe Leserin, lieber Leser: Lassen sie sich nicht unterkriegen und trauen sie sich das Bilden und das Kundtun ihrer eigenen Meinung zu.

…Denn der Zuständigkeitsanspruch der Behörden und Experten kommt einer Monopolisierung von Lebensbereichen durch Experten gleich und ist in zweierlei Hinsicht äusserst bedenklich:

 

  • Erstens werden Zusammenhänge, die erst ersichtlich sind, wenn man die Themen mit der Distanz des Laien und mit gesundem Menschenverstand angeht, nicht erkannt.

 

  • Zweitens werden in einem grösseren Zusammenhang die direktdemokratischen Grundprinzipien der freien Meinungsäusserung und des politischen Gewichtens der eigenen Auffassung durch das Abstimmen langsam, subtil und oft unbemerkt unterhölt. Die  Stimmbürgerin verliert durch die Überbewertung des Experten- und Behördentums an Bedeutung.

Alles andere ist unheimlich

Es ist unheimlich, eine Friedensbewegung als unheimlich zu bezeichnen. Menschen, die sich gegen kriegerische Handlungen, gegen Kriegsrhetorik bewegen, werden so als diffus und beängstigend verunglimpft; unfähig zwischen Schuld und Unschuld zu unterscheiden. Dabei sei es einfach: Die Russen werden als schuldig bezeichnet, die Ukrainer als unschuldig. Daraus wird die Handlungsmaxime: „Immer mehr Waffenlieferungen an die Ukrainer“ hergeleitet. Es widerspräche jedem Gerechtigkeitsempfinden, den unschuldigen Ukrainern in gleicher Weise Kompromisse abzuverlangen wie den schuldigen Russen, schreibt Julian Schütt in seinem Artikel „Unheimliche Friedensbewegung“ in der  SZ vom 18. Februar 2023.

Wirklich unheimlich ist es, eine ganze Bevölkerung in einen Topf zu werfen und als schuldig, bzw. unschuldig zu beschreiben. Die Fratze des Populismus starrt einem direkt an; und wird nicht erkannt? So ist es, so sind sie, wird kolportiert und deshalb seien Waffenlieferungen weiterhin angezeigt. Monatelange Kriegshandlungen, das Grauen, das Leid, Tod und Zerstörung gehen weiter. Gleichzeitig wird von Gerechtigkeit, von Anstand schwadroniert, als ob ein Krieg eines der beiden, geschweige den beides sein könnte.  Nein angesichts des Grauens eines Krieges und angesichts der unheimlichen Gefahr eines Weltkriegs atomaren Ausmasses, ist eine Friedensbewegung unbedingt notwendig. Nie mehr haben unsere Väter und Mütter, unsere Grosseltern gefleht. Nie mehr Krieg. Denn in letzter Konsequenz müssten diejenigen, welche die Lösung in Waffenlieferungen, in weiteren Kriegshandlungen sehen, irgend einmal selber an die Waffen. Es wäre weiterhin nichts erreicht ausser noch mehr unsagbares Leid, Zerstörung und Tod.

Wer eine Waffe findet, die nicht zerstört, sondern aufbaut, noch mehr Grauen, Leid und Tod verhindert, liefere sie. Ansonsten sollen sie sich schleunigst der Friedensbewegung anschliessen. Alles andere ist unheimlich.

Expertentum & Journalismus

Kommentierend Schreiben im Zeitalter des Expertentum hat nichts mit direkter Übernahme und unkritischer Verbreitung von Informationen zu tun. – Dass sich die Befürchtungen, die durch den Aufsatz: Wider die Bevormundung der Bürger durch Experten und Behörden – Ein Plädoyer zur freien Meinungsäusserung im Zeitalter des Expertentums“ [auf der Grundlage der  Lizarbeit: „Kommentierend Schreiben in Zeitalter des Expertentums“ (2004)] dermassen krass verdichten würden, hätte ich mir damals nicht träumen lassen.

Kleine Klassen ganz selbergross

Seit rund 10 Jahren finde ich, dass ich als Klassenlehrer durch die Integration, bzw. Inklusion den vielfältigen Bedürfnissen der Kinder zu wenig gerecht werde. Es genügt beispielsweise bei Weitem nicht,  ein verhaltensauffälliges Kind während (in der Regel) sechs Lektionen von einer Heilpädagogin zu betreuen und zu begleiten und während der gesamten restlichen Zeit der Woche der Klassenlehrperson zu überlassen.

Trotzdem: Irgendwie ists immer gegangen, auf Biegen und Brechen – mehr durch den Einsatz der LehrerInnen als Psychologinnen, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Moderatorinnen und weniger durch die unzähligen Weiterbildungen zum sogenannten «Umgang mit Heterogenität» in der Klasse.

Sich auf ein Kind mit all seinen Facetten und Hintergründen einlassen können, Neues aufzeigen, seine Neugierde wecken und stillen, sein Lernen begleiten ist für mich persönlich seit Jahren ganz etwas anderes als das, was in der staatlichen Volksschule möglich ist.

Ich finde das nicht in Ordnung, gar nicht und schon lange nicht. Wo eine Schulpflicht besteht muss auch das Recht auf den Anlagen und Bedürfnissen der Kinder entsprechenden Unterricht gewährt sein. Eine Volksschule sollte für alle, Lernende und Lehrende möglichst optimal organisiert sein.

Auch ein sehr hohes Engagement als Lehrer reichte und reicht – nach meinem Dafürhalten – viel zu oft nicht aus. Ganz bestimmt wird es bei der zusätzlichen Integration von Flüchtlingskindern in den Klassenzug/die Klassenzüge nicht ausreichen. Dazu fehlt im Speziellen die Verständigungsmöglichkeit, Zeit, Ruhe und Raum um sich auf die Flüchtlingskinder wirklich einlassen zu können. Dazu fehlt im Allgemeinen ein Schulwesen, das in seinen Abläufen nicht einfach einigermassen funktioniert, sondern gefestigt, unkompliziert und schlank organisiert ist mit zusätzlich belastbaren, vielfältig interessierten und eigenständig denkenden Persönlichkeiten als Lehrerinnen und Lehrer.

Ich finde blosses «Funktionieren» ungenügend für ein Arbeitsfeld, das so grundlegend auf dem Bezug, der Beziehung zu den Kindern aufbaut. Mittlerweilen muss schon sehr angestrengt weggeschaut werden, um nicht zu erkennen, dass das System so in vielen Fällen nicht einmal mehr funktioniert. – Ich weiss nicht, wie weit das Spektrum an Verschiedenheit noch geweitet werden soll, wie breit in eine Lerngemeinschaft, in eine Klasse «integriert» werden soll und kann, bis das Schulsystem wirklich nicht mehr tragbar ist, für Lernende nicht und für Lehrende nicht. Aus meiner Perspektive sind wir besorgniserregend nah dran.

Diese missliche Situation ist das Resultat von Schulreformen der letzten Jahre, die von zu vielen gar nicht oder viel zu wenig kritisiert wurden. Und wenn, dann oft nur hinter vorgehaltener Hand, zu wenig klar, zu undeutlich. Zu oft wurden sie schön geredet, eine Art romantisiert. Nach meinem Empfinden stand Ideologie und nicht Praxis im Vordergrund.

Es braucht wieder Einführungsklassen und „kleine Klassen“ um Zeit, Ruhe, Raum und Gelassenheit zu finden, welche denjenigen Kindern wichtig ist, die im Tempo und in der Masse einer Regelklasse nicht gut Lernen können.

Funktionieren reicht nicht

Weniger Ideologie und mehr Mut zu Unterschieden und Ungleichheit. Denn Vielfältigkeit ist dann bereichernd wenn Unterschiede zugelassen und Ungleichheit nicht von Anfang an bewertet, sondern einfach angenommen wird. Die Diskrepanz zwischen Systemhaftem, Organisatorischem, Planerischem und  der Praxis kommt selten so klar zum Vorschein wie bei Fragen zur Schule. Denn hier reicht blosses Funktionieren nicht. 

Von Lukas Rüefli

 

Durch Vielfältigkeit entstehen Unterschiede. Wenn nun daraus eine Gesellschaftsfrage konstruiert wird, hat dies viel mit Ideologie- und wenig mit Praxis zu tun. – Erst recht nichts mit Gerechtigkeit! Die Erfahrung zeigt, dass beim Zwang zur Schulischen Integration Organisation, Planung, Methoden und  Abläufe immer mehr im Fokus sind.  Die persönlichen Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lehrpersonen in Psychologie, Entwicklungspsychologie sozialen und kulturellen Zusammenhängen hingegen eher weniger. Dabei sind gerade diese die Grundlage für Beziehungsarbeit zum einzelnen Kind und im heutigen Umfeld immens wichtig. – Es wird immer klarer: Nicht alle Entwicklungen sind gut, einfach weil sie statt finden. Und für einige Kinder wird ein zu einseitiges Schulsystem angewandt und unterstützt.  Das ist schade und oft traurig.

Das Problem wird zwar gesehen, aber in seiner Auswirkung nicht erkannt oder zu wenig gewichtet.  Die vermeintlichen Lösungsansätze tragen nicht zur Linderung bei, im Gegenteil, sie vernebeln Sicht und Reflexion: Denn um das grundsätzliche Funktionieren dieses Schulsystems zu gewähren, braucht es eine einvernehmende, immer komplexer werdende Organisation, der eine überdimensionierten, oft einengende Planungen, Einstufung, Verwaltung und Systematisierung zugrunde liegt. Um dieses Funktionieren aufrecht zu erhalten, investieren Bildungsverantwortliche, Schulleitungen und Lehrpersonen wiederum immense Mengen an Kraft und Energie in Organisation, Planung, Einstufung, in (immer wieder andere) Methoden.  Energie und Kraft, welche ich als Lehrperson akut für den  Bezug zu den einzelnen Kindern  gebrauchen würde; Kraft und Energie auch, die für echte individuelle Weiterbildung genutzt werden müsste, nämlich für den Aufbau und die Entwicklung von persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten und deren Anwendung unmittelbar und direkt für die Kinder. Denn blosses Funktionieren (einer Methode, eines Modells, eines Systems) reicht in der Schule  nicht; auch bei einem Höchstmass an Binnendifferenzierung. Möchte die Lehrperson jedem einzelnen Kind gerecht werden,  braucht es Beziehungsarbeit. Gestärkt werden müsste also ein Lernumfeld, durch welches die  Beziehung zu einer auch psychologisch und sozial äusserst kompetenten Lehrperson zentral ist. Das heisst: Weniger Kraft- und Energieverpuffung für (immer wieder andere) Methoden, weniger Abhacken und Erledigen, weniger blosses Funktionieren. Mehr nachhaltige, persönliche Kompetenz in Psychologie, Entwicklungspsychologie und in sozialen und kulturellen Zusammenhängen; mehr Aufbau (der Kinder) und mehr Bildung dieser. Vor allem aber zuerst: Mehr Wahrhaftigkeit, einzugestehen, dass im heutigen Schulsystem zu oft  Kindern und Situation  nicht gerecht geworden werden kann und dass Verschiedenheit auch Unterscheidung und Ungleichheit bedeutet.

Das Problem ist nicht fehlendes Engagement von Lehrpersonen oder fehlendes Geld, sondern der fehlende Wille und Mut, Probleme an- und auszusprechen und sich damit grundsätzlich gegen ein für zu viele Kinder unvorteilhaftes Schulsystem aktiv und öffentlich zu wehren: Fehlkonstruktionen zerschellen schlussendlich an der Wirklichkeit. Nur: Es geht um unsere Kinder und es liegt an uns, neue Wege zu gehen und Unterschiede zu akzeptieren, um das Bereichernde daran zu erkennen. Dazu dürfen Einführungs- und Kleinklassen nicht als etwas Schlechteres beurteilt werden. Miteinander verschieden sein können wir nur, wenn Unterschiede und Ungleichheit zugelassen werden. Im Übrigen auch unterschiedliche Meinungen und Haltungen.

Gefangen im Expertenzirkel

Nicht mehr der Mensch steht im Zentrum, sondern Systeme und die dazugehörigen Expertenzirkel. Konsens und Demokratie werden ausgehölt und übergangen. In der Bildung sind die Folgen bereits bedenklich.

Von Lukas Rüefli

 

Die aristokratische Öffentlichkeit erschöpfte sich in blosser Inszenierung und Darstellung. Mit bürgerlicher Öffentlichkeit hingegen wird ein zum politischen Bewusstsein erwachtes, sich emanzipierendes Bürgertum gemeint. Also ein artikulierender, kommentierender, publizisierender Gesellschaftstypus, dessen Mitglieder sich über einen selbstorganisierten Diskurs verständigen. Dadurch entsteht eine kritische Öffentlichkeit. Heute hat sich das Verhältnis zwischen Bürgertum und Staat wesentlich verändert. Antagonistische Gruppen treten gegeneinander auf und der Stärkere gewinnt. Der herrschaftslose Diskurs wird durch eine manipulierte, kontrollierte Art der Expertengläubigkeit abgelöst. Es gilt nicht mehr das bessere Argument, denn der Experte hat immer recht. Wahrheitsfindung und Verständigung liegen brach. Die Bedrohung besteht in den Prozessen, die mit Macht zu tun haben. Herrschaft wird um der Herrschaft Willen verinnerlicht. Was gewöhnlich als Ziel bezeichnet wird – das Glück des Individuums, Gesundheit und materielles Wohlergehen – gewinnt seine Bedeutung ausschliesslich durch die Möglichkeit, funktional zu werden. Solcher Verzicht bringt hinsichtlich der Mittel Rationalität und hinsichtlich des menschlichen Daseins Irrationalität hervor.

Das Aufkommen des Industrialismus hat qualitativ neue Phänomene im Gefolge gehabt. Phänomene deren Folge die Unterjochung der Natur innerhalb und ausserhalb des Menschen sind und die in ihrer Konsequenz einer Unterdrückung der Natur gleichkommen. Phänomene auch, deren Konsequenzen für die Gesellschaft als die Isolierung des Wissens von lebensweltlichen Bezügen beschrieben werden, welche durch Systeme gebildet und aufrechterhalten werden. Und tatsächlich geht auch für Max Horkheimer die Unterdrückung der Natur und die Selbsterhaltung des Individuums im industriellen Zeitalter mit der Systembildung einher: „Die Selbsterhaltung des Individuums setzt seine Anpassung an die Erfordernisse der Erhaltung des Systems voraus. Es hat keinen Raum mehr, sich dem System zu entziehen.“ Ähnlich Jürgen Habermas. Seine Kritik am technischen Denken ist an eine Denkhaltung gerichtet, die es dem Individuum verunmöglicht sich am Menschen zu orientieren. Weil sich das technische Denken nicht an Menschen richtet, sondern nur an das Verhalten von bloss hantierenden Menschen. Jegliche Regelung basiert auf dieser technischen Vernunft. An die Stelle einer Konsenssuche ist die technische Bewältigung eines Problems gerückt.  Und instrumentelle Vernunft wird gegen substantielle Vernunft gesetzt. Wissen ist immer interessengeleitet. Ideologisch wird man, weil man durch das Technische nicht weiter erklären, nicht etwas zu Ende erklären kann. Herrschaft und Politik beginnen sich mit technischen Sachzwängen zu rechtfertigen. Das unterhöhlt die demokratische Bewegung. Man sagt dann, es sei nicht anders möglich, weil es eben technische Sachzwänge gibt.

 

Das Technische, Systematische genügt nicht

Habermas plädiert für weitere Erkenntnisinteressen und erkennt Systeme als Funktionserfüller, die wegen ihrer Ausrichtung auf Rationales leistungsfähig sind. Diese Rationalität wird nach Max Horkeimer als Faktor der Zivilgesellschaft verstanden, sie führt aber gerade wegen dieser Ausrichtung auf die Ratio zu einer Immunisierung gegen moralische Wertansprüche, gegen Kompromisse, Integration und auf demokratischem Weg erreichten Konsens. „Denn die Diffusion einer systemspezifischen Rationalität in andere Systeme, die Lebensbereiche systematisieren, welche praktisch-moralisches Denken als irrationales, zu ihrer Ganzheitlichkeit aber notwendiges Denken brauchen, führt zwangsläufig in eine Auflösung demokratischer Strukturen durch abgeschlossene Expertenzirkel“, schreibt Michael Metzger.  Rationalität steht nicht für Ganzheitlichkeit und Expertenzirkel sind wegen ihrer funktional bedingten Autonomie kaum kontrollierbar und können sich deshalb weitgehende Indifferenz gegenüber den nicht intendierten Folgen ihres Handelns erlauben. Habermas beschreibt die institutionalisierten Austauschbeziehungen zwischen den funktionalen, kognitiv-technischen Systemen und der moralisch-praktischen Lebenswelt, die nur in dem Masse gelingen, wie ein kompensatorisches Gleichgewicht zwischen den beiden Bereichen geschaffen werden kann: „Um die Vorteile der gesellschaftlichen Differenzierung in Anspruch nehmen zu können, hat sich die Lebenswelt nach Massgabe der Systemerfordernisse um den Preis der Zerstörung traditionaler Lebensformen durchrationalisiert.“ Und: „Es besteht die Gefahr, dass die kompensatorische Gestaltung zwischen den Vorteilen und den Nachteilen dieser Rationalität in eine Kolonialisierung der Lebenswelt umschlägt, die sich unter anderem in der Spaltung zwischen abgeschlossenen Expertenzirkeln und der Alltagskultur niederschlägt. Der Moralbegriff wird aus dem Rationalitätsbegriff vollständig ausgeklammert und die Reproduktion kommunikativer lebensweltlicher Strukturen unterliegen einer nachhaltigen Störung.“

Der Einzelne hat keinen Raum mehr, sich dem System zu entziehen. Um die Vorteile der gesellschaftlichen Differenzierung in Anspruch nehmen zu können, hat sich die Lebenswelt nach Massgabe der Systemerfordernisse um den Preis der Zerstörung traditionaler Lebensformen durchrationalisiert.

 

Durchrationalisierung nach Systemerfordernissen geht ans Lebendige

Nicht mehr der Mensch steht im Zentrum, sondern das System und die dazugehörigen Expertenzirkel. Konsens und Demokratie werden ausgehölt und übergangen. Im Falle des „Bildungssystems Schweiz“, welches früher sinnigerweise oft als „Bildungslandschaft Schweiz“ bezeichnet wurde, hat dies katastrophale Folgen. Experten entscheiden etwa als Erziehungsdirektoren über die Köpfe des Volkes, der Eltern und Kinder hinweg. Erziehungs- und Bildungsfragen werden primär von Bildungsexperten beantwortet. Den Eltern und Lehrpersonen, welche sich unmittelbar in der schulischen Lebenswelt befinden, wird immer mehr das Entscheidungsterrain zugunsten der Bildungsexperten entzogen.  Wo früher Lehrerseminare standen wird heute das Bildungswesen durch die Wissenschaft, der damit einhergehenden Systemrationalität und entsprechenden Experten vereinnahmt. Die Befürchtungen von Habermas, Horkheimer und vielen anderen scheint sich zu bewahrheiten. Die Systemrationalität, und das damit einhergehende Expertentum führt gerade wegen der Ausrichtung auf die Ratio zu einer Immunisierung gegen moralische Wertansprüche, gegen Kompromisse, Integration und auf demokratischem Weg erreichten Konsens. Denn die Diffusion einer systemspezifischen Rationalität in Lebensbereiche, führt zwangsläufig in eine Auflösung demokratischer Strukturen durch abgeschlossene Expertenzirkel. – Es besteht die Gefahr, dass die kompensatorische Gestaltung zwischen den Vorteilen und den Nachteilen dieser Rationalität in eine Kolonialisierung der Lebenswelt umschlägt, die sich unter anderem in der Spaltung zwischen abgeschlossenen Expertenzirkeln und der Alltagskultur niederschlägt. Beispielhaft ist der Schulische Alltag, der sehr oft äusserst schwerlich mit den Vorgaben der Bildungsexperten in Einklang zu bringen ist. Erkenntnis entwickelt sich dann weg von metaphysich-ethischen Stellungnahmen des Menschen  in der Welt hin zu Fähigkeit und Anspruch, natürliche Erscheinungen durch Berechnung zu beherrschen und daraus die Ausbildung einer methodischen Lebensführung abzuleiten.

Realitätsverweigerung Massentierschlachtung

Zur heute alltäglichen Realitätsverweigerung. Und; zu deren schlimmen Folgen für das Zusammenleben von Mensch und Tier

Von Lukas Rüefli

 

Es scheint, als ob die Orientierung an der Wirklichkeit heute ein Zeichen für „Menschenfeindlichkeit“ im Allgemeinen und „Menschenrechtsfeindlichkeit“ im Speziellen geworden ist. Alexander Meschnig schreibt: “Der Gesinnungsethiker darf jederzeit realitätsfremde Maximalforderungen und abstrakte Ideale wie eine Monstranz vor sich her tragen”. – Tatsächlich kommts einem wie eine Prozession vor; wer ihr folgt ist gut – politisch korrekt – halt, wer aber inne hält oder ausschert, die Richtung wechselt ist nicht gut, sondern beispielsweise ein  Menschrechtsverweigerer. Bemerkenswerterweise scheint dies bezüglich Tieren weniger zu gelten. Dem Ausdruck Tierrechtsverweigerer begegne ich weniger. Selbst in Zeiten massiver tagtäglicher, systematischer Massentierhaltung und Massentierschlachtungen. Obwohl es doch um die Haltung generell gegenüber Geschöpfen geht. Im Gegenteil:

Ich erlebe, dass abwägende Denkerinnen, welche Ideen an der Realität abgleichen, um daraus gesellschaftlich Funktionierendes politisch abzuleiten, oft zu Unmenschen erklärt werden. Das “Nicht-sehn-wollen” wie die Realität beschaffen ist, wird zur Alltags- und Verdrängungsdoktrin. Einfach ersichtliche, völlig klare Realitäten, systemhafte Abläufe tagtäglich direkt vor unsern Augen, Nasen und Mündern etwa in Massenschlachthöfen und einfachste Grundsätze wie das Zulassen von Verschiedenheit durch grösstmögliche Freiheit des Einzelnen oder wie dasjenige, dass Rechte von Pflichten abhängen, auch Mensch- und Tierrechte von Menschenpflichten, werden nicht thematisiert, weil man sich dafür an den Alltagsmöglichkeiten und deren realistischer Umsetzung orientieren müsste. Dafür müsste jedoch andere Ansichten und Haltungen mit all ihren Konsequenzen viel mehr zugelassen- und viel weniger bewertet werden!

Aber nichts da: Wer Systemhaftes, Automatisiertes in Frage stellt, auf die Friktionen der Realität verweist, auf massive Probleme hinweist,  gilt schnell als politisch inkorrekt. Das ist böswillig, verlogen und gefährlich.

Verlogen, weil es dabei absichtlich nicht darum geht, momentan politisch inkorrekte Meinungen und Haltungen nach zu vollziehen; böswillig weil so Menschen diffamiert,  mundtot und handlungsunfähig gemacht werden. Und; gefährlich, weil viele nicht merken, dass sie sich mit ihrem Ideal “für alle gleich”, welches sie politisch umgesetzt sehen wollen, sich in eine Ideologie verrennen. Das hat weniger Meinungsäusserungsfreiheit und mehr mit Totelitarismus und Gleichmacherei zu tun.  Dies gilt es zu verhindern, auch wenn man dafür diffamiert wird.

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